Wir müssen über die Ehe reden

Theologin sucht Debatte über evangelisches Eheverständnis

„Die Kirche ist der Ort für komplizierte Identitätsprozesse.“ Dr. Petra Bahr im Gespräch mit der LSU. (Foto: Gartmann)
„Die Kirche ist der Ort für komplizierte Identitätsprozesse.“ Dr. Petra Bahr im Gespräch mit der LSU. (Foto: Gartmann)
Die evangelische Kirche habe die „Ehe für alle“ zu hastig bejubelt und zu wenig erklärt, hatte Dr. Petra Bahr zusammen mit Stefan Schaede 2017 in einem Gastbeitrag in der ZEIT-Beilage „Christ & Welt“ geschrieben. Ende Januar traf die LSU in Niedersachsen die Theologin und Landessuperintendentin im Sprengel Hannover und sprach mit ihr über ihre Haltung zur Öffnung der Ehe und darüber, wie die Debatte zum evangelischen Eheverständnis in der Landeskirche Hannovers weitergeführt wird.

Zunächst stellte sie klar, dass es ihr mit dem Debattenbeitrag nicht um eine erneute Diskussion um Homosexualität in der evangelischen Kirche ging. Da habe die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zum Beispiel mit der Orientierungshilfe „Mit Spannungen leben“ bereits 1996 oder erneut 2013 in der EKD-Familienschrift „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit: Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ gute Antworten gefunden.

NEUES EVANGELISCHES EHEVERSTÄNDNIS

Durch das Gleichsetzen von Ehen zwischen Verschiedengeschlechtlichen mit Ehen von Gleichgeschlechtlichen ergeben sich für die Kirche rein praktische Fragen, die laut Petra Bahr auch theologisch begründet werden sollten. Landesbischof Meister sagte zwar bereits, dass Segnung Trauung bedeutet. Doch die Trauagende unterscheidet sich vom Segnungsgottesdienst und lässt sich auch aktuell nicht einfach übertragen, sind doch zahlreiche liturgische Passagen auf die Beziehung von Mann und Frau und die Perspektive der Familiengründung inklusive Kindersegen ausgerichtet.
Ihr Anliegen war und ist es deshalb, das evangelischen Eheverständnis grundlegend zu überdenken und positiv zu definieren. Also nicht immer nur zu sagen, was keine Ehe ist, sondern deutlich zu machen, was eine Ehe in der evangelischen Kirche ausmacht. Dabei möchte sie das ganz große Fass aufmachen: Wie ist es, wenn jemand zum zweiten oder dritten Mal heiratet? Wie ist es mit Ehepaaren, bei denen rein biologisch Kinder keine Option mehr sind?
Zu unterscheiden ist dabei zunächst von der katholischen Lehre auf der einen Seite, nach der die Ehe ein Sakrament ist. Auf der anderen Seite vom staatlichen Verständnis, das Ende des 19. Jahrhunderts unter Bismarck die Ehe säkularisiert hat. Schon Luther hat im 16. Jahrhundert getrennt zwischen der juristischen Eheschließung auf der Türschwelle der Kirche und der Trauung vor dem Altar. Zudem ist die Idee einer romantischen Ehe ohnehin erst im späten 19. Jahrhundert aufgekommen – früher war sie in erster Linie eine Versorgungsgemeinschaft.

NACHKOMMENSCHAFT WEITERGEDACHT

Der Kernpunkt bei Petra Bahrs Analysen zum evangelischen Eheverständnis ist der Begriff der Nachkommenschaft. Sowohl nach dem althergebrachten kirchlichen als auch dem staatlichen Verständnis geht es bei der Ehe um die Möglichkeit, Kinder zu bekommen: Seid fruchtbar und mehret euch. Dies ist auch der ursprüngliche Grund für den verfassungsrechtlichen Schutz der Ehe.
„Ehe ist mehr als das, was zwei Menschen sich einander versprechen“, sagte also Petra Bahr im Gespräch mit der LSU. Ihr Versprechen gehe immer über die Paarbeziehung hinaus. Deshalb ist die Eheschließung sowohl kirchlich als auch staatlich ein öffentlicher Akt. Wir schließen aber auch Ehen zwischen zwei Menschen, die entweder keine Kinder bekommen wollen oder nicht (mehr) können. Doch auch in diesen Fällen zielt die Ehe auf etwas Größeres, auf die Verantwortung nämlich, die zwei Menschen für sich sowie für die Gesellschaft übernehmen. Nachkommenschaft wird dabei also weitergedacht.
Mit diesem neuen Verständnis von Nachkommenschaft könnte der Grundstein gelegt sein für eine neues evangelisches Eheverständnis und folglich auch eine neue Trauagende, die sich öffnet für viele heute denkbaren Konstellationen.

BARMHERZIGKEIT UND NACHSICHT

Dieser Schritt ist für die Kirche und die Gesellschaft kein kleiner. Für die Diskussionen in der Volkskirche wie der Volkspartei setzt die Theologin auf wechselseitige Barmherzigkeit und Lernprozesse. „Unter Zwang kommt keine Einsicht“, sagt sie mit Blick auf Pastorenkollegen, die aus persönlichen Gründen die kirchliche Trauung von Homosexuellen ablehnen. „Hier kann eine Abstimmung mit den Füßen erfolgen – dann geht man einfach zu einem Pastor, der es macht, und dann erzählt man, wie toll das war.“
Auf trans- und intergeschlechtliche Menschen angesprochen, sagte Bahr einladend: „Die Kirche ist der Ort für komplizierte Identitätsprozesse.“

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