Es war ein erfolgreicher Coup für beide Seiten – für die Lesben und Schwulen in der Union (LSU) ebenso wie für Friedrich Merz, den Kandidaten für den CDU-Vorsitz. Als im November die LSU zu ihrer normalerweise alljährlich stattfindenden Bundesmitgliederversammlung zusammentrat, stand überraschend ein besonderer Gast auf dem Tagungsprogramm. Erst wenige Tage zuvor hatte Friedrich Merz seine Teilnahme zugesagt. Die beiden anderen Bewerber, Helge Braun und Norbert Röttgen, konnten der Einladung der LSU aus terminlichen Gründen nicht nachkommen. Röttgen schickte eine Grußbotschaft per Video.
Die Ankündigung der Merz-Teilnahme machte schnell die Runde, mehrere Medien meldeten daraufhin ihr Interesse an einer Berichterstattung an, am Ende kam der „Spiegel“ und berichtete – ein Umstand, welcher der ansonsten eher unbedeutenden Jahreshauptversammlung des parteinahen Vereins sonst nicht zuteilwird. Für Merz bot dieser Termin die günstige Gelegenheit, seinen gröbsten Imagemakel auszubügeln, nämlich der Annahme, er sei ein gesellschaftspolitisch Gestriger.
Merz kam, sprach und siegte. Wie die anwesenden Medien anschließend berichteten, habe es zunächst Zögern in den Reihen der LSU-Mitglieder gegeben, das jedoch rasch Applaus und Jubel gewichen ist und anschließend mit allerlei Gruppenfotos mit dem Kandidaten abgerundet wurde.
Am 17. Dezember dann wurde das Ergebnis des ersten Mitgliedervotums in der Geschichte der deutschen Christdemokratie bekanntgegeben: 62 Prozent der Mitglieder, die ihre Stimme abgegeben haben, votierten für Merz. Ein eindeutiges Ergebnis, trotz dreier Bewerber keine knappe Kiste mehr. Ein Glück für die Union – ein Zeichen für die Geschlossenheit und Einheit. Im Januar nun wird der zweite digitale Bundesparteitag Merz zum neuen Vorsitzenden der CDU wählen, anschließend muss dieses Votum dann wieder per Briefwahl offiziell bestätigt werden. Eine übergroße Mehrheit wird ihm sicher sein, denn Gegenkandidaten wird es nun nach dem Mitgliedervotum gemäß Vereinbarung keine mehr geben. Als mögliche Stellvertreter waren inzwischen Jens Spahn, Silvia Breher, Carsten Linnemann, Serap Güler, Karin Prien und Michael Kretschmer im Gespräch.
Was heißt dieses Ergebnis nun für die LSU? Gerade aus dem linken politischen Spektrum wird Merz noch immer als der Vertreter des Gestern betitelt und vor allem ein Rechtsrutsch der Union prophezeit. Politische Beobachter bewerten die Situation allerdings anders. Bemerkenswert bleibt, dass ausgerechnet die Themen der LSU (von Adoption bis Transsexuellengesetz) vielfach als Exempel herhalten müssen, um das eine oder andere zu verdeutlichen. Die LSBTI-Politik wird häufig als Gradmesser für Modernität und Offenheit verwendet. So schrieb Jan Ross kürzlich in der ZEIT: „Schon jetzt lässt sich absehen, dass Friedrich Merz nicht ins Gestern oder Vorgestern zurückwill. Kürzlich hat er erklärt, dass er seinen früheren Widerstand gegen Adoption durch homosexuelle Paare revidiert habe: Konservativ zu sein heiße auch, ‚immer offen zu sein für gute Argumente.‘“ Das hatte Merz zuvor im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gesagt.
Zuvor hatte Merz schon sowohl in seinem programmatischen Buch „Neue Zeit. Neue Verantwortung“ als auch in seinen Antworten auf die Fragen des LSU-Bundesverbands durchaus zuversichtlich stimmende Positionen eingenommen. Die Anerkennung der LSU als Sonderorganisation unterstützt er, seine Haltung zur Öffnung der Zivilehe klingt sehr liberal und gegenüber den LSBTI-feindlichen Regierungen in Polen aber vor allem Ungarn will Merz nach eigener Auskunft mehr Härte zeigen.
Dabei geht es uns nicht einmal immer um Zustimmung zu unseren Themen, sondern um eine gewisse stabile Haltung dazu, die eben nicht ins Rechtspopulistische abdriftet. CDU-Kennerin Mariam Lau riet dem neuen Unionschef kürzlich in einem Leitartikel für die ZEIT beispielsweise: „Wenn es 14-Jährigen künftig ermöglicht würde – wie es einige Grüne wünschen – unabhängig vom Willen der Eltern ihr Geschlecht amtlich ändern zu lassen: Da liegt die Versuchung nah, sich Hals über Kopf in den Kulturkampf zu stürzen. Höflich, aber bestimmt zurückweisen, dann zu wichtigeren Themen weitergehen – das wäre der elegantere Stil.“ Da es innerhalb der LSU auch durchaus unterschiedliche Positionen zur freien Geschlechtswahl ab 14 Jahren gibt, wäre dieses Vorgehen auch aus Sicht der LSU (mindestens aus niedersächsischer Sicht) begrüßenswert.